Camper wiegen!

Allradantrieb bringt ein Plus an Traktion und Sicherheit, wenn man sich abseits befestigter Straßen bewegen will. Als Basis für einen 4x4 Camper Ausbau gibt es diverse Optionen im Segment der Kastenwagen, die wir hier näher betrachten werden.

Grundsätzlich kann man zwei Wege gehen: entweder man bestellt den Allradantrieb – sofern vom Hersteller verfügbar – direkt ab Werk, oder man lässt ein Fahrzeug mit Heckantrieb bei einem der Umbauer für nicht wenig Geld umrüsten. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Wegen schauen wir uns im folgenden noch genauer für die verschiedenen Fahrzeugtypen an.

Grundwissen Allradtechnik

Bevor wir auf die konkret verfügbaren Systeme bei den verschiedenen Kastenwagenmodellen eingehen, müssen wir erstmal ein paar Grundbegriffe klären, damit die Unterschiede der verschiedenen Systeme später auch Sinn machen – Allrad ist eben nicht gleich Allrad.

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Hinter dem Begriff "Allrad" verstecken sich unterschiedliche technische Konzepte, um die Kraft des Motors auf alle vier Räder zu verteilen. Zudem gehen oft andere Ausstattungsmerkmale, wie Untersetzungsgetriebe und Differenzialsperren, die ebenfalls dem besseren Vorankommen auf schwierigem Untergrund dienen, damit einher.

Man kann allradgetriebene Fahrzeuge in drei Klassen unterteilen: Fahrzeuge mit permanenten Allradantrieb, mit manuell zuschaltbaren Allradantrieb, und mit automatisch geregelter Kraftverteilung zwischen den Achsen. Beim permanenten Allradantrieb wird die Kraft immer auf alle vier Räder verteilt. Sogenannte Differenziale (oder Ausgleichsgetriebe) zwischen den beiden Rädern einer jeden Achse sowie zwischen der Vorder- und Hinterachse sorgen aber weiterhin dafür, dass sich jedes Rad unabhängig von den anderen drehen kann. Das ist für die Kurvenfahrt wichtig, weil dabei die Hinterachse einen kürzeren Weg als die Vorderachse, und das innere Rad einen kürzeren Weg als das äußere zurücklegt.

Funktionsweise eines permanenten Allradantriebs Funktionsweise eines permanenten Allradantriebs
Der permanente Allradantrieb treibt alle vier Räder an. Durch die offenen Differenziale kann sich jedoch jedes Rad unterschiedlich schnell drehen. Verliert ein Rad die Traktion, verpufft die Antriebsenergie an diesem Rad.

Beim manuell zuschaltbaren Antrieb fährt man im normalen Straßenbetrieb wie ein Fahrzeug mit Heckantrieb – nur die hinteren beiden Räder werden angetrieben. Wird der Allradantrieb zugeschaltet, wird zwischen Vorder- und Hinterachse durch eine Kupplung ein Kraftschluss erzeugt, sodass die Kraft des Motors gleichmäßig zwischen den Achsen verteilt wird. An jeder Achse sorgen weiterhin die Differenziale dafür, dass sich die beiden Räder unabhängig schnell voneinander drehen können.

Funktionsweise eines zuschaltbaren Allradantriebs Funktionsweise eines zuschaltbaren Allradantriebs
Beim zuschaltbaren Allradantrieb wird im Verteilergetriebe ein Kupplung geschlossen, sodass die Kraft jeweils zur Hälfte an Vorder- und Hinterachse geleitet wird. Die Wellen in rot können sich jetzt nur noch gleich schnell drehen. Verliert ein Rad die Traktion, können die Räder der anderen Achse weiterhin Vortrieb leisten.

Zuletzt gibt es noch den automatisch – und inzwischen meist elektronisch –  geregelten Allradantrieb. Unter normalen Bedingungen fährt man damit wie ein front- oder heckgetriebenes Fahrzeug, je nach Hersteller und Modell. Erkennt die Elektronik Schlupf an einem der Räder, wird die Kraft durch eine steuerbare Kupplung zwischen den beiden Achsen verteilt. Man könnte sagen, das System ähnelt im Prinzip dem zuschaltbaren Allradantrieb, nur dass die Elektronik das Zuschalten automatisch übernimmt und gegebenenfalls auch nicht nur “an” oder “aus” kennt, sondern die Kraft variabel zwischen den Achsen verteilen kann. Die Hersteller bezeichnen diese Systeme lieber als permanenten Allradantrieb. Das klingt besser, aber eigentlich hat man unter einem permanenten Allradantrieb schon immer etwas anderes verstanden.

Neben der Kraftverteilung auf beide Achsen, gibt es zwei weitere Mechanismen, die oft im Zusammenhang mit dem Allradantrieb zum Einsatz kommen: Sperrdifferenziale und Untersetzungsgetriebe.

Sperrdifferenziale können die normale Funktion eines Differenzials (zum Drehzahlausgleich wie oben beschrieben) unterbinden. Beim permanenten Allradantrieb zum Beispiel kommt es im Mitteldifferenzial zwischen Vorder- und Hinterachse zum Einsatz, um zu verhindern, dass bei Schlupf eines Rades die gesamte Kraft an diese Achse geleitet wird. Sperrt man das Mitteldifferenzial, ist das von der Wirkung das gleiche, als wenn man einen manuell zuschaltbaren Allrad aktiviert: beide Achsen sind jetzt fest miteinander verbunden.

Funktionsweise einer Mitteldifferenzialsperre Funktionsweise einer Mitteldifferenzialsperre
Bei aktivierter Mitteldifferenzialsperre verhält sich ein permanenter Allradantrieb identisch zu einem zuschaltbaren Allradantrieb: Die Kardanwellen in rot sind fest miteinander gekoppelt. Verliert ein Rad Traktion, kann die andere Achse weiterhin Vortrieb leisten.

Das gleiche Funktionsprinzip kommt auch innerhalb der Achsen zum Einsatz: eine Hinterachssperre sperrt die drehzahlausgleichende Funktion des Differenzials in der Hinterachse und sorgt so dafür, dass sich das linke und das rechte Rad immer gleich schnell drehen, selbst wenn eines der beiden die Traktion verliert. Eine Vorderachssperre erfüllt die selbe Funktion an der Vorderachse.

Funktionsweise einer Hinterachssperre Funktionsweise einer Hinterachssperre
Bei aktivierter Hinterachssperre wird die Drehzahl-ausgleichende Funktion des Hinterachsdifferenzials gesperrt. Alle Wellen in rot drehen sich jetzt gleich schnell. Selbst bei Traktionsverlust an einem Vorder- und Hinterrad kann das andere Hinterrad weiterhin Vortrieb leisten.

Zu guter Letzt kommt in klassischen Allradfahrzeugen dann noch ein Untersetzungsgetriebe zum Einsatz. Dieses verkürzt wahlweise die vorhanden Gänge, üblicherweise um das zwei- bis dreifache. Das sorgt dafür, dass man sehr langsam fahren und trotzdem viel Kraft auf die Räder übertragen kann. Besonders bei einem manuellen Getriebe verhindert es auch, dass die Kupplung in kürzester Zeit überhitzt, weil man die ganze Zeit mit schleifender Kupplung fährt. Mit einer ordentlichen Untersetzung kann man einfach den 1. Gang einlegen und im Standgas ganz langsam einen steilen Hügel hinaufkriechen.

Nachdem nun das ganze Allradmenü einmal ausgebreitet ist, stellt sich die Frage, was man davon eigentlich braucht, und welcher Hersteller was anbietet.

Welches Allradkonzept für welchen Einsatzzweck?

Hand auf’s Herz – wenn man nicht ganz spezielles mit seinem Camper vor hat, ist jedes Allradkonzept ein Gewinn an Geländetauglichkeit und völlig ausreichend dafür, was man mit so einem Fahrzeug normalerweise machen wird. Anstatt in teurere Allradtechnik zu investieren, ist es dann wahrscheinlich lohnender dafür zu sorgen, dass man etwas mehr Bodenfreiheit hat, z.B. durch eine moderate Höherlegung, und durch den Verzicht auf tiefhängende Trittstufen, Wassertanks, etc.

Soll es dann doch etwas mehr sein, wäre mir wichtig ein Konzept mit Untersetzungsgetriebe oder wenigstens ein Automatikgetriebe mit Wandler und kleinem ersten Gang zu haben, damit man bei schwierigen Passagen ganz langsam und kontrolliert kriechen kann. Gerade mit einem etwas größeren und schwereren Fahrzeug ist das Gold wert.

Sperrdifferenziale für Hinter-, und definitiv für die Vorderachse, sind dann die Luxusausstattung für den Fall der Fälle, die man wahrscheinlich fast nie brauchen wird.

Allrad-Kastenwagen ab Werk

Verschiedene Hersteller bieten ab Werk verschiedene Allradsysteme an, wobei der Trend über die Zeit klar zu den automatisch geregelten Systemen geht. Der Fahrer soll sich um möglichst wenig kümmern müssen, und Bedienerfehler sollen minimiert werden.

Mercedes Sprinter Allrad

Beim Mercedes Sprinter kann man einen automatisch geregelten Allradantrieb bestellen, der zwingend an das 9-Gang Automatikgetriebe und die 190PS Motorvariante gekoppelt ist. Zusätzlich kommt der Sprinter dann auch mit einer Höherlegung von ca. 100mm ab Werk. Eine Untersetzung gibt es nicht – dieses Manko wird aber ein Stück weit durch das Automatik-Wandlergetriebe ausgeglichen, das auch sehr langsames Fahren ermöglicht, ohne eine Kupplung zu überhitzen – zumindest, wenn man dieses System nicht für den Dauereinsatz benutzt.

VW Crafter/MAN TGE 4motion

Den VW Crafter gibt es mit der Option “4motion”. Das ist VWs Markenname für das automatisch geregelte Allradsystem, das z.B. auch im kleineren VW Bus zum Einsatz kommt. Anders als bei Mercedes werden hier standardmäßig die beiden Vorderräder angetrieben, und die Hinterachse bei Bedarf zugeschaltet. Wie bei allen Allrad-Kastenwagen, bekommt man auch hier die Karosseriemaße wie beim Heckantrieb.

Von Werk aus kann eine Differenzialsperre für die Hinterachse bestellt werden. Eine Untersetzung gibt es zwar nicht, jedoch kann man das Fahrzeug (ähnlich wie beim Sprinter) mit einem Wandler-Automatikgetriebe bestellen. Damit lässt sich an kniffligen Stellen bei langsamer Fahrt die Kraft recht gut dosieren. Eine Höherlegung gibt es nicht ab Werk, ist jedoch von Drittanbietern zu bekommen.

Iveco Daily 4x4

Der Iveco Daily 4x4 ist der absolute Ausreißer, was die von Werk aus verfügbare Allradtechnik angeht. Der Daily 4x4 ist eine getrennte Fahrzeuglinie, die von der militärischen Sparte von Iveco entwickelt wird. Den Daily 4x4 gibt es nur in höheren Gewichtsklassen von 5,5t oder 7t, da alleine z.B. das 6m lange Basisfahrzeug 3,5t wiegt. Das liegt an der extrem robusten Ausführung und der Allradtechnik auf Geländewagenniveau: man bekommt hier ein Fahrzeug mit Leiterrahmen, einem permanenten Allradantrieb, alle drei Differenzialsperren und Untersetzungsgetriebe.

Das Fahrzeug steht ab Werk sehr hochbeinig da (die Außenhöhe ist über 20cm höher als beim normalen Kastenwagen) und ist mit Unterfahrschutzplatten sowie seitlichen Schwellerschutzrohren ausgestattet. Den Iveco Daily 4x4 wird man sich sicherlich nicht “aus Verlegenheit” anschaffen, weil man denn Allrad vielleicht mal braucht. Das ist schon ein Fahrzeug für besondere Einsatzzwecke.

Ford Transit Allrad

Beim Ford Transit kann man alle heckgetriebenen Varianten auch als Allradversion bestellen. Auch bei Ford kommt ein automatisch geregeltes Allradsystem zum Einsatz, das man allerdings per Knopfdruck auch manuell zuschalten kann. Ansonsten bleibt alles beim alten – kein Sperrdifferenzial, keine Höherlegung, keine Untersetzung.

Fiat Ducato/Peugeot Boxer/Citröen Jumper Allrad

Beim Fiat Ducato, dem so beliebten Basisfahrzeug für Camperausbauten, gibt es von Fiat direkt keine Allradoption, jedoch lässt sie sich beim Händler über einen Dritthersteller (Dangel) mitbestellen. Ähnlich verhält es sich beim Renault Master. Auch hier kommt die Allradlösung von einem anderen Hersteller (Oberaigner), ist aber auch direkt bei Renault als Option mitzubestellen. Da die Allradtechnik jedoch in beiden Fällen von einem anderen Hersteller nachgerüstet wird, verschiebe ich die nähere Beschreibung auf den nächsten Abschnitt.

Allradantrieb im Kastenwagen nachrüsten

Es gibt eine handvoll Drittanbieter, die Allradsysteme in Kastenwagen mit Heckantrieb nachrüsten:

  • Iglhaut verbaut sein Allradsystem im Sprinter und Crafter/TGE.
  • Achleitner bietet Lösungen für den Sprinter und den heckgetriebenen Daily an.
  • Oberaigner liefert den Werksallrad für den Renault Master sowie eine Lösung für den Crafter/TGE ab 5 Tonnen.
  • Dangel hat eine Nachrüstlösung für den Fiat Ducato und Consorten im Programm, die auch direkt über die Hersteller mitbestellt werden kann.

Iglhaut kann sowohl den Sprinter als auch den Crafter mit dem kompletten Allradprogramm ausstatten: permanenter Allradantrieb, Untersetzungsgetriebe, alle drei Sperren, Höherlegung, Umbereifung, Unterfahrschutz, Luftansaugschnorchel… die Liste der Optionen auf dem Bestellzettel ist lang. Bei diesem Maximalprogramm ist man aber auch schnell nochmal so viel Geld los, wie das Basisfahrzeug gekostet hat, und hat 300-400kg Mehrgewicht im Gepäck. Das ähnlich volle Programm hat auch die Firma Achleitner für den Sprinter im Angebot. Wie sich die beiden preislich zueinander verhalten, ist am Ende nur durch konkrete Anfragen zu klären. Aber eines ist klar: im Vergleich zum Werksallrad, der einem einen hohen 4-stelligen Aufpreis kostet, schlagen die Nachrüstungen mit sehr viel mehr zu Buche, aber können dafür auch mehr.

Die Firma Oberaigner hat eine Nachrüstoption für den Renault Master im Angebot, die sich auch direkt beim Hersteller mitbestellen lässt. Dabei handelt es sich um einen manuell zuschaltbaren Allradantrieb mit Differenzialsperre an der Hinterachse und einer moderaten Untersetzung mit dem Faktor 1,42. Zusätzlich wird das Fahrzeug um ca. 60mm höher gelegt, was die Böschungs- und Rampenwinkel signifikant verbessert. Diese – gegenüber Iglhaut und Achleitner – etwas bescheidenere Allradtechnik kann auch schon viel und kostet nur rund die Hälfte.

Zu guter Letzt rüstet die französische Firma Dangel einen Allradantrieb im Fiat Ducato nach, der über eine Visco-Kupplung die Kraft zusätzlich auf die Hinterachse verteilt, sobald ein Drehzahlunterschied zwischen den Achsen auftritt. Als Option wird auch eine Differenzialsperre hinten angeboten. Diese Nachrüstung kostet immer noch mehr als ein Serienallrad vom Hersteller, ist aber sonst die günstigste – aber auch die am wenigsten potente – Option unter den hier beschriebenen Drittherstellern.

Fazit

Allradtechnik im Kastenwagen ist keine günstige Angelegenheit. Man muss sich gut überlegen, was man mit dem Fahrzeug machen will und was man wirklich braucht, damit man Ende nicht unnötigerweise 300kg mehr durch die Gegend fährt. Für einen ernsthaften 4x4 Camper, der nicht nur ein Schlechtwege-Fahrzeug ist, kommt man kaum am Sprinter oder Daily vorbei. Wenn es nicht ganz soviel Allradtechnik sein muss, finden sich jedoch auch bei den anderen Modellen Lösungen, die einen an wunderschöne Plätze bringen können.